Rebellisch, Kreativ, Verführerisch
Eine Reise durch zwei Städte der Franche Comtè - Teil 1
Die Stadt der Zitadelle Besancon
„Der Hügel, auf dem die Zitadelle steht, ist das Herz von Besancon“ stellt Anne-Laure Charles fest.
Die studierte 25jährige Historikerin (im Bild links) gehört zu den Fremdenführern und zeichnet auch für die Museen vor Ort mit verantwortlich. Auf meinen skeptischen Blick hin setzt die attraktive Französin in perfektem Deutsch hinzu, dass nach ihrer Fertigstellung am Ende des 17. Jahrhunderts diese Festungsanlage die Bewohner der Stadt nie bedroht, sondern immer beschützt habe.
Die Zitadelle (II)
Die Zitadelle war ein Unterpfand für 250 Jahre währenden Frieden. Trotz vieler hoher Mauern, tiefer Gräben und zwei riesigen Wachtürmen, die nach der Königin und dem König von Frankreich benannt wurden, avancierte somit die Zitadelle für die Einwohner von Besancon zu einem Symbol der Freiheit. Aufgrund der natürlichen Lage auf einem Berg, darunter die Stadt umgeben von dem Fluss Doubs, wurde dieser Platz schon von Julius Cäsar 58 v. Chr. favorisiert. Doch erst der französische Sonnenkönig Ludwig der XXIV ließ von seinem berühmten Baumeister Vauban über zwei Jahrzehnte lang die Zitadelle errichten.
Manchmal ist die Zitadelle müde
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Stadtrat im Jahr 1959 das arg vernachlässigte elf Hektar große Gelände für den Spottpreis von 500.000 France kaufte.
„Die Summe ist aus heutiger Sicht vergleichbar mit einem Preis von einem Euro“ meint lakonisch Anne-Laure Charles. Das Herz der Stadt durfte für seine Bewohner keine Ruine sein. Seitdem kommt das Bauen und Sanieren nicht mehr zum Stillstand.
Da ein großer Teil der Steine der Zitadelle von früheren Bauten aus dem Hügel stammten, ist dieses Gestein teilweise Millionen Jahre alt. „Deshalb ist die Zitadelle manchmal müde und wir müssen ihr mit liebevollem restaurieren helfen“, so die Burgfrau Charles.
Blick von der Zitadelle
In den letzten sieben Jahren hat dafür der französische Staat immerhin 12 Millionen Euro locker gemacht. Deshalb präsentiert sich die Anlage für seine Besucher in sehr ansehnlichem Zustand. Der Blick über die Festungsmauern zeigt eindrucksvoll, dass Besancon dank seiner Parks und Gärten als die grünste Stadt Frankreichs ausgezeichnet wurde. Doch die Zitadelle hat auch innerhalb seiner schier unzähligen Mauern eine Menge zu bieten.
Ein Magnet für die Familien ist der Zoologische Garten, der immerhin ein Viertel der Zitadelle einnimmt. Hier leben 60 verschiedenen Tierarten darunter drei Dutzend Primatenarten, sibirische Tiger und asiatische Löwen. In Etagen des ehemaligen Zeughauses sind Aquarien und ein Insektarium untergebracht. Daneben sind auch sehenswerte Museen eingerichtet.
Schweigen wäre Verrat
Einen besonderen Platz nimmt das seit 1982 im Kadetten-Gebäude eingerichtete Museum des Widerstands und der Deportation ein. Es ist nur einen Steinwurf entfernt von dem Ort von Exekutionen auf der Zitadelle. Hier starben 100 zum Tode verurteilte Widerstandskämpfer in den Jahren 1941 bis 1944.
Das Museum wurde auf Initiative einer ehemaligen Deportierten und Überlebenden des Lagers Bergen-Belsen gegründet. Ihr Motto lautet: „Schweigen wäre Verrat.“ Über eine Stiftung wurden nunmehr insgesamt 150.000 Exponate zusammen getragen.
Mittlerweile erfährt der Besucher in zwanzig Sälen auf zwei Etagen historische Wahrheiten über Nazismus, Deportation und Widerstand der Resistance. Die engagierte und souveräne Ausstellung macht auch um das Vichy-Regime und die Kollaboration keinen Bogen und veröffentlicht Briefe aus der Feder von Denunzianten an die deutschen Besatzer. „Es ist eines der größten Museen zu diesem Thema in Frankreich und hat in der Zitadelle einen würdigen Platz“, sagt Anne-Laure Charles, die dazu auch wissenschaftliche Arbeiten verfasst hat. (Bild links: Museum der Resistance)
Deklaration der Menschenrechte bleibt aktuell
Die Bewohner der Region Comtè haben über Jahrhunderte um ihre Autonomie und für das „Franche“ (frei) gekämpft. Das ist bis heute auch mit dem Namen Franche Comtè erhalten geblieben.
„Die Barbarei hat sich der Zivilisation bemächtigt“ - so werden Resistance-Kämpfer im Museum zitiert. Heute bedrohen Rüstungsprofite und Kriegshetze die Welt. Am Ende der engagierten und mutigen Ausstellung liest der Besucher auf einem Plakat den Text der Deklaration der Menschenrechte der UN aus dem Jahr 1948 und kann auch einen kurzen Text dazu mit nach Hause nehmen und anderen zu lesen geben.
Mittelalter trifft Renaissance
Von der Zitadelle führt ein bequemer Fußweg einhundert Meter hinunter in die Altstadt. Vorbei an der Kathedrale Saint-Jean aus dem 12. Jahrhundert und dem für Mark Aurel errichteten Triumphbogen der Römer Porte Noire gelangt man auf die Grande Rue.
Sie führt mitten durch die Altstadt. An vielen der Häuser teilweise aus dem 16. Jahrhundert treffen sich Mittelalter und Renaissance.
Nicht selten befinden sich gemauerte Fensterkreuze in einer Fassade mit Schmuckelementen der Renaissance. Es sind die deutschen Farben rot, gelb und schwarz, die die Flagge der Stadt Besancon schmücken. Und in seinem Stadtwappen finden sich zwei Säulen - eine Hinterlassenschaft jener Zeit, als das weitgehend unabhängig gebliebene Besancon dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation angehörte.
Belege dafür, wie rebellisch, kreativ und verführerisch Menschen aus der Region Franche Comtè sein können, liefern zwei Gebäude an der Grande Rue.
Bild oben: Mittelalter trifft Renaissance
Präzision der Uhrmacherei
Das ist zum einen das Museum der Zeit, das 2004 im prachtvollsten Gebäude der Renaissance eingerichtet wurde, dem Palais Granvelle.
Es ist eine Mixtur aus einem Geschichts-, Uhren und Wissenschaftsmuseum und illustriert, dass Ende des 18. Jahrhunderts mehr als 80 Prozent der Uhren in Frankreich hier hergestellt wurden.
Hier wurden Feste der Schöpferlust, Genialität und Phantasie gefeiert, in winzigen wie riesigen Uhrgehäusen. Außerdem ist im 4. Stockwerk ein 13 Meter langes Pendel von Foucault eingebaut, dass den Beweis der Erdrotation liefert. Der Besucher wird eingeladen, zuzusehen, wie sich die Erde dreht. Im Bild links: Ausschnitt aus einem Ölgemälde mit Uhr
Der politisch engagierte Victor Hugo
Nur wenige hundert Meter auf der Grande Rue entfernt, befindet sich das Geburtshaus von Victor Hugo. Er ist ein weltbekannter Schriftsteller, Dramatiker und Dichter, aber vor allem ein politisch engagierter Mensch.
Das Geburtshaus von Victor Hugo
Zu seinem 200. Geburtstag im Jahr 2002 richteten die Bürger von Besancon dem berühmten Sohn ihrer Stadt eine zeitgenössische Inszenierung mit viel Multi Media ein, in der engagierte Menschen mit unterschiedlichen Themen vorgestellt werden. UNICEF, Amnesty International und Reporter ohne Grenzen erhalten eine Tribüne.
Natürlich kommt auch Victor Hugo ausreichend zu Wort mit Texten, die ein Schauspieler spricht. Seine Themen im19. Jahrhundert, der Kampf um die Menschenwürde und gegen das Elend, für Reformen in Strafanstalten und gegen die Todesstrafe muten mitunter beängstigend aktuell an. Arbeitet die Hauptfigur aus dem berühmten Werk „Die Elenden“, Jean Valjean, heute im Akkord in Schlachtbetrieben in Niedersachsen für Billiglöhne?
Es wurde in seinem Geburtshaus auch ausreichend Platz gefunden, um den rebellischen Schriftsteller zu würdigen. Dazu zählen Zeichnungen und Skulpturen aus der Hand von Rodin, der Victor Hugo einen bedeutenden Teil seines Lebenswerkes widmete.
Mehr Information in deutscher Sprache
Ganz in der Nähe vom Hugo-Museum, steht ein Hugo-Denkmal auf dem Hugo-Platz und dort befindet sich das Restaurant mit Namen „1802“, das Geburtsjahr des berühmten Sohnes der Stadt. Hier treffe ich Gille Dreydemy, den Tourismus-Direktor von Besancon (im Bild links).
„Es ist vor allem die Kultur und die Architektur von Besancon, die immer mehr Besucher in die Stadt lockt. Dabei ist unsere ehrwürdige und phantastische Zitadelle am meisten bei den Touristen in der Region Franche Comtè beliebt. Etwa eine viertel Million steigen jährlich zu den Festungsbauten hinauf“, lautet sein Resümee. Insgesamt sei allerdings die faszinierende Altstadt, die von den Baustilen der Jahrhunderte geprägt wurde, leider noch nicht so bekannt, auch in Deutschland. „Unter den ausländischen Besuchern nehmen die Deutschen und die Schweizer eine Spitzenposition ein. Manchmal gibt es noch Sprachbarrieren. Wir sind eine Universitätsstadt mit mehr als 20.000 Studenten, darunter hunderte Studierende der deutsche Sprache. Wir wollen ihre Sprachkenntnisse verstärkt bei Veranstaltungen oder Übersetzungen z.B. von Speisekarten einsetzen.“ Der Anfang ist im historischen Museum der Zitadelle und im Hugo-Museum schon gemacht.
Ronald Keusch, Juli 2014
Fotos: Sandrine Baverel (3) , der Autor (9)
Anmerkung: Klicken Sie zur Vergrößerung aller Fotos im Beitrag auf selbige.
www.besancon-tourisme.com/
www.besancon.fr/index.php?p=633
www.besancon.fr/index.php?p=1328
Kaléidoscope cre-aktiv | Archivsite 2013 - 2017 | NEU seit 2017: www.cre-aktive.net