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Reiseeindrücke aus Flandern: Teil 2


Immer an der Küste entlang



Belgien gilt seit jeher als ein Land mit kreativen Leuten. Bereits im Jahr 1835 beförderte eine britische Dampflok mit einem der ersten Eisenbahnzüge auf dem europäischen Kontinent 900 Fahrgäste von Brüssel nach Mechelen. Ein Jahr später verkehrte auf dieser Strecke auch die erste in Belgien gefertigte Dampflok.

Die Eisenbahn diente Ende des19. Jahrhunderts auch dazu, dass der Adel und das Großbürgertum die belgische Küstenlandschaft mit den kleinen verträumten Fischerorten für sich entdeckte. Allen voran König Leopold II., sorgte eine wachsende Anzahl von gut betuchten Gästen dafür, dass Oostende und später das nahe Knokke Heist zur „feinsten Badewanne“ der Belle Epoque im Zeitraum 1880 bis 1914 aufstieg.


Die belgische Nordseeküste


Hier tummelte sich die Crème de la Crème des europäischen und russischen Adels. Und in Oostende flanierten damals elegant gekleidete Damen durch die von König Leopold II. erbauten königlichen Kolonnaden, weiter über den breiten Seeboulevard, vorbei an herrschaftlichen Jugendstilvillen. Für den König sollte Oostende die Königin der Seebäder sein. Den internationalen Tourismus starteten Mitte des 19. Jahrhundert die Briten, als Reiseveranstalter ihre Landsleute per Fähre über den Ärmelkanal brachten.


Betonburgen und breite Strände

Der heutige Besucher findet das alles wieder, allerdings ein wenig herzlos eingezwängt in Wohnkomplexe mit Appartementblöcken, die teilweise leer stehen oder anscheinend nicht bewohnt sind. Als die Wellen des Massentourismus auf die Küstenorte zurollten, wollte jeder Gast möglichst nahe am Meer einen Blick auf das Meer. Die Bausünden von mehr als 50 Jahren mit fehlendem architektonischem Gespür sind überall gegenwärtig. Dennoch ist der Touristenstrom unvermindert groß. Jährlich lassen sich drei Millionen Urlauber von den breiten Stränden mit feinem Sand sowie von der gesunden jodhaltigen Meeresluft anziehen - übrigens beides gratis. Für recht sauberes Meerwasser gekennzeichnet mit blauer Flagge ist überwiegend gesorgt.


Vielen Künstlern bietet die flämische Küste ein erstrangiges Spielfeld für ihre Kunst. In der direkten Nachbarschaft von Oostende in dem berühmten Seebad Knokke Heist haben Künstler aus der Baubranche hinter die Dünen ihr Werk „Tender 2“ direkt auf den Strand gesetzt. Das Appartement in Würfelform mit Schlafraum, Küche, Terrasse und zehn mal zehn Meter abgezäuntem Sandstrand ist inmitten dicht gedrängter Badegäste ein Blickfang. Und es ist keine Kunst, den Urlaubern diese Wohnanlage zur Saison zu einer Tagesmiete von bis zu 350 Euro zu verkaufen (siehe auch folgende Bildcollage).


Der Wohnwürfel in Knokke Heist
Der Wohnwürfel in Knokke Heist
Naturschutzgebiet Het Zwin
Naturschutzgebiet Het Zwin
Kunst am Nordsee-Strand
Kunst am Nordsee-Strand
"Die Tüten" auf der Promenade
"Die Tüten" auf der Promenade


Der Badeort Knokke Heist offeriert seit einigen Jahren nicht allein nur Küste. Am östlichen Ortsende schließt sich das Naturschutzgebiet Het Zwin an, das 150 Hektar umfasst und Brutgebiet seltener Vogelarten ist. Der ebenfalls nahe Naturpark Zwinbosjes mit 220 Hektar wird auch für die Touristen zum Naherholungsgebiet ausgebaut und im Jahr 2015 ein großes Besucherzentrum erhalten.

Rote Tüten auf der Promenade


Wenn wahre Kunst Diskussionen provozieren will und jede Menge für und wider bei Anwohnern wie Gästen hervorruft, dann gehören die mehrere Meter hohen rot leuchtenden Skulpturen verteilt mitten auf der Promenade von Oostende unbedingt dazu. Und obwohl die „Rock Strangers“ für knapp eine halbe Million Euro aufgestellt bereits eine zweite Saison erleben, haben sich die Gemüter der Anwohner über ihren Anblick noch nicht beruhigt.
Für die Fischer, die am Kai ihres traditionellen Fischmarktes ihre Fischerboote mit ihrem Fang festmachen, sind es nur „Die Tüten“, eine durchaus treffende Bezeichnung. Von ihrer stolzen Flotte der Fischerboote ist derzeit noch ein knappes Dutzend übrig geblieben. Ein Museumsschiff erinnert an die Fischer, die über Jahrzehnte mit ihren Booten auf einer 18tägigen großen Fahrt bis nach Island zum Fang ausliefen.


Allianz der Fischer und Köche

Während hoch oben auf einer hohen Stele, dem alten Denkmal für die See-Helden, ein Seefahrer noch angestrengt nach der fernen Vergangenheit der flämischen Fischerei Ausschau hält, starteten die Stadtväter von Oostende ein kreatives Projekt. Sie setzten die Fischer und die Köche aus 25 Restaurants an einen Tisch und begannen eine Fisch-Kampagne.


Eines der letzten Fischerboote in Oostende
Eines der letzten Fischerboote in Oostende
Frischer Fang auf dem Fischmarkt
Frischer Fang auf dem Fischmarkt
Fisch-Restaurant in Oostende
Fisch-Restaurant in Oostende


Fernsehsendungen mit Fischern und Fisch-Köchen wurden regelmäßig ausgestrahlt. Für die Einwohner und Touristen wie auch für Fischer und Köche in den Restaurants lohnte das Fang-Ergebnis. Weniger bekannte Fischsorten, früher teilweise unverkäuflich und entsorgt wie der Wolfsbarsch oder bestimmte Tintenfische wurden zum Fisch des Monats kreiert. Vor allem erinnerte man sich der tollen traditionellen Fisch-Gerichte aus den Fischerfamilien. Damit hat sich die französisch-belgische Küche beispielsweise im Bistro Mathilda „Tatjespap“ oder im Restaurant „Caruso“ einmal mehr als ein attraktiver Anziehungspunkt für Touristen ihren guten Ruf bestätigt.


Die längste Straßenbahn der Welt

Kreativität bewiesen die Belgier Ende des 19.Jahrhunderts, um die schnell wachsende Zahl der Urlauber auf ihrem knapp 70 Kilometer langen Küsten-Abschnitt zu verteilen. Sie beauftragten ihren Landsmann, den Ingenieur Baron Edouard Empain, der bereits die erste Metrolinie in Paris baute, für die gesamte Strecke eine Küstenstraßenbahn anzulegen. Der erste Streckenabschnitt zwischen Oostende und Nieuwpoort wurde 1885 als Dampfstraßenbahn eröffnet. In den ersten Jahren rollten noch offene Wagen und extra Gepäckwagen mit Platz für Koffer, denn das bürgerliche Publikum musste sich, so schrieb die Etikette vor, mehrmals am Tag umziehen. Im Auto-Boom vor 50 Jahren gab es sogar Überlegungen, die Straßenbahn abzuschaffen. Doch die Auto-Lobby setzte sich glücklicherweise nicht durch.


Straßenbahn  Raversijde-Domein_Raversijde
Straßenbahn Raversijde-Domein_Raversijde
Straßenbahn Kusttram 2
Straßenbahn Kusttram 2


Die Straßenbahn ist mit ihrer Länge von 67 Kilometern in einem Trakt und ihren 72 Haltestellen weltweit die Längste ihrer Art. Gleichzeitig avancierte sie zum unumstrittenen Markenzeichen der belgischen Küste. Insgesamt werden auf der Bahn von Knokke Heist im Osten bis nach De Panne im Westen 14 Millionen Reisende gezählt und man benötigt zwei Stunden und 23 Minuten, um von einem Ende zum anderen zu gelangen. Das Tagesticket kostet nur fünf Euro. Auch wenn es zum Berufsverkehr in den Wagenzügen, die alle zehn Minuten fahren, eng werden kann und auch die beschaulichen Streckenabschnitte mit Sicht aufs Meer nur recht kurz sind. Aber es überwiegt das Fahrvergnügen. Die Zahl der Fahrgäste steigt ständig und es bieten sich interessante Stationen zum Aussteigen wie De Haan.


Station De Haan


Ein wenig Flair der Belle Epoque

Zur Geschichte des Tourismus an der belgischen Nordsee gehört auch König Leopold II, der sich um sein Monarchen-Paradies sorgte, als Ende des19. Jahrhunderts erste Hotels eröffneten. Er erließ eine Reihe von Auflagen für die künftigen Bauherren: Es durfte eine bestimmte Bauhöhe nicht überschritten werden, die Häuser mussten freistehend, das heißt von Gärten umgeben sein und schließlich musste der anglo-normannische Baustil für alle Villen eingehalten werden.

Von diesen Richtlinien ist wenig übrig geblieben. Eine rühmliche Ausnahme macht De Haan. Der kleine Ort besticht durch seine offene, stark begrünte Bauweise mit einer Reihe von Jugendstil-Villen bis heute und unterscheidet sich damit von allen anderen Badeorten an der belgischen Nordseeküste. Wie die historischen Spuren der Beethoven-Familie in Mechelen hat De Haan den kurzzeitigen Wohnort eines berühmten Deutschen zu präsentieren: Die Jugendstil-Villa, in der Albert Einstein logierte.

Am Zeedijk, der beliebten Strandpromenade mit seinen zahlreichen Cafés, Bistros und Restaurants wirkt der Ort bei entsprechendem Wetter gesellig und quirlig. Hier am Strand hat das nostalgische Flair der glamourösen Belle Epoque eine wirkliche Chance, sich für den Besucher zu entfalten - in den gewundenen Alleen zwischen den Dünen, wo die Gärten und Villen zu einer ruhigen Parklandschaft verschmelzen.


Das wieder erstandene Nieuwpoort

Zum bevorstehenden Jahrhundert-Jubiläum anlässlich des Beginns vom 1. Weltkrieg hat eine Station der Küstenstraßenbahn einen besonderen Bezug: Nieuwpoort. Der beschauliche Küstenort mit 11.000 Einwohnern lädt zu einem ausgiebigen Bummel durch die Altstadt ein. Die alten Häuser mit ihren prachtvollen Treppengiebeln und die den Spaziergänger auf Schritt und Tritt umgebende flämische Renaissance sind noch keine hundert Jahre alt. Die Erklärung ist simpel und zugleich erschreckend. Hier lag von 1914 bis 1918 ein Schlachtfeld. Die Stadt Nieuwpoor wurde total zerstört, kein Stein stand mehr auf dem anderen.


Das wieder aufgebaute Nieupoort


Heute ist auf dem besten Weg, ein zweites Knokke Heist zu werden. Derzeit belegt Nieuwpoort in der Ranking-Liste für Lebensqualität einen Platz ganz weit vorn.


Text: Ronald Keusch, Juli 2013

Fotos: delijn.be/dekunsttram (2) , Autor (11)

Anmerkung: Klicken Sie zur Vergrößerung aller Fotos im Beitrag auf selbige.


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