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Im Bergwerksstollen und auf der Eisenhütte des Saarlands
Ist der Tourist in hügeligen Landschaften des Saarlandes unterwegs, entdeckt er oft erst auf den zweiten Blick eine ganze Reihe früherer Abraumhalden, die jetzt begrünt sind. Aber über die Ära von Kohle und Eisenerz ist noch längst kein Gras gewachsen. Der 30. Juni 2012 ist für die Saarländer ein historisches Datum. An diesem Tag schließt das letzte Bergwerk an der Saar. 250 Jahre Bergbau-Geschichte wird beendet, aber nicht vergessen. Dafür werden ganz besonders die Bergleute in dem Ort Velsen, in einem Stadtteil von Saarbrücken sorgen. Sie gründeten im Jahr 2011 einen gemeinnützigen Verein und bauten in einem früheren Steinkohlenbergwerk einen ehemaligen Lehrstollen aus. Hier ist weder ein Museum, noch ein Freizeitpark, sondern seit April 2012 ein Bergwerk zum Anfassen und Erleben eingerichtet
Am Eingang zum Bergwerk Velsen erwartet mich der 55jährige Vermessungs-Ingenieur Volker Etgen. Er gehört zu den Bergleuten, die Besucher durch das Bergwerk führen darunter oft Gruppen mit Schülern und auch Gäste aus dem Ausland. Ohne Begleitung darf niemand hinein. Das Erlebnisbergwerk untersteht der Bergaufsicht, hier gelten noch die Sicherheitsbestimmungen des Bundesberggesetzes. „Aber es macht ja gerade den Reiz für die Besucher aus. Dieses letzte Bergwerk aus der Steinkohlenära ist einzigartig. Hier ist nicht nur die Technik zu sehen, sondern ich kann sie noch in Funktion setzen“, erzählt stolz Ingenieur Etgen und seine Augen leuchten.
Vermessungs-Ingenieur Etgen am Tor zum Bergwerk
Zur Einstimmung können die Besucher oberirdisch in die Wagen eines Grubenzuges steigen, der von einer originalen Akkulok gezogen wird und polternd und rumpelnd auf im Hof verlegten Schienen eine Runde dreht.
Ausgerüstet mit Helm und Bergmannsjacke öffnet sich dann das Tor des Bergwerks, das sich unter Tage befindet, aber durch einen Stollen über Tage zu befahren ist. Insgesamt sind 800 Meter Strecke auf drei verschiedenen Sohlen zu besichtigen. Volker Etgen ist in seinem Element und übersetzt erst einmal einige der allerwichtigsten Begriffe in die Sprache der Bergmänner. „Im Stollen heißt die obere Begrenzungsfläche, die Gruben-Decke „Firste“, der Boden des Stollens ist die „Sohle“ und die Stollenwand „Seitenstoß“.
Wir kommen zur Ausgabestelle für Werkzeuge unter Tage, die sich in der Bergmannssprache Gezähe nennen und an Streckentelefonen vorbei, die bei den Kumpeln den Spitznamen „Wauwau“ heißen.
Impressionen
Bildunterschriften zu oben: Unterwegs im Stollen / Laufkatze mit aufgehängtem Schild - Schremmaschine im Schildstreb - der stillgelegte Förderturm - Bandseilfahrtanlage - Lademaschine aus Tatortfilm
Richtig authentisch wird es aber erst im Stollen, wenn der Bergmann Etgen die überall im Stollen verteilte Technik in Gang setzt. Nahezu alles unter Tage, so lernt man hier, wird mit Druckluft betrieben. So wird der Gefahr elektrischer Funken begegnet, die z. B. freigesetztes Methangas entzünden können. Ein paar Handgriffe, die Koeppe-Förderanlage geht in Betrieb und ein Förderkorb an einen Förderseil setzt sich in Bewegung. „So etwas kann in Deutschland der Besucher nur hier bei uns sehen“ so lautet der knappe Kommentar von Etgen.
Weiterhin sind eine Schienenflurbahn zu bestaunen und ein Fördermittel, den die Kumpel nur „Panzer“ nennen. Das Gerät läuft die ganze Schicht und macht seinem Namen alle Ehre, weil es einen höllischen Krach erzeugt. Auf dem Programm des Rundgangs steht auch eine Hochdruck-Pumpanlage. Außerdem liefern Lüfter wie aus Gottes Hand Frischluft vor Ort. Sehr gefragt bei jugendlichen Besuchern sind die Förderbänder, auf denen sich einige Mutige - mit Erlaubnis der Begleiter - bis 70 Meter im Stollen transportieren lassen, einmalig in Europa, so Etgen.
Ein Höhepunkt unter Tage ist der Streckenvortrieb, wo noch zwei bis drei Bohrhämmer in Stellung gebracht sind, die auch einmal ausprobiert werden können. Auch sie arbeiten mit Druckluft, aber erfordern schon etwas Kraft und Geschick.
Das Erlebnis-Bergwerk haben übrigens schon Millionen im Fernsehen gesehen. In der authentischen Kulisse des Lehrstollens wurde im Jahr 2008 der ARD Tatort „Das schwarze Grab“ des Saarländischen Rundfunks gedreht.
Es braucht keine Phantasie, um sich vorzustellen, welche Kraft und Ausdauer, Geschick und Charakter der Bergleute nötig waren, um viele Jahre unter Tage zu arbeiten. Jetzt gibt es für die 220 ehemaligen Kumpel und ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Förderverein eine neue Herausforderung: Sie brauchen 5000 Besucher im Jahr, um kostendeckend ihr Bergwerk zu betreiben.
Das zweite Leben der Eisenhütte
Wer käme schon auf die Idee, die Große Mauer in China, die Pyramiden in Ägypten oder den Dom Köln in Köln mit einem riesigen Eisenwerk und seinen Hochöfen an der Saar zu vergleichen. Und doch steht die Völklinger Hütte an faktisch in einer Reihe mit all diesen Monumenten, die die Menschheit im Laufe der Geschichte erschaffen hat. Im Jahr 1994 wurde das gewaltige Stahlwerk durch die UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben. Damit entging der schwarze Gigant acht Jahre nach der Schließung nur knapp der Verschrottung. Heute gibt sich das Industriedenkmal nicht damit zufrieden, für Enthusiasten und Touristen ein attraktives einmaliges Fotomodell zu spielen. Viel mehr stieg es wie Phönix aus der Asche zum europäischen Zentrum für Kunst und Industriekultur auf.
Ein Ausstellungsraum besonderer Art ist die in den Jahren 1911 und 1912 gebaute Möllerhalle der Hütte mit der riesigen Fläche von 10.000 Quadratmetern. Zwischen ihren rostbraunen Staubwänden und den begehbaren Silotaschen konnten früher 12.000 Tonnen Rohstoffe für den Hochofen zwischen gelagert werden. Heute präsentieren sich hier alle zwei Jahre neue Kunstausstellungen. In diesem Jahr zeigen in der UrbanArt Biennale insgesamt 36 international bekannte Graffiti-Künstler aus New York und Paris, Sao Paulo, London und Basel ihre Werke.
Zu den Künstlern gehören auch zwei berühmte US-Amerikaner. Zum einen die New Yorker Graffiti-Legende Cope2 sowie Shepard Fairley. Er schuf unter dem Schlagwort „Change“ mit dem Konterfei von Barack Obama eine Ikone im US-Präsidentschafts-Wahlkampf. Der spektakuläre Ausstellungsraum dokumentiert auf besondere Art diese Kunst der Straße (noch bis Oktober 2013 geöffnet).
Ein Ausstellungsprojekt ganz anderer Art kündigt sich in der Gebläsehalle der Völklinger Hütte an. Hier versorgten einst riesige Turbinen die Hochöfen mit vorgewärmter Luft. Jetzt wird an diesem Ort ab 15. September der Besucher auf den Spuren des Pop eine emotionale Zeitreise antreten. Auf einer Ausstellungsfläche von 6.000 Quadratmetern werden unter dem Titel “Generation Pop! …hear me, feel me, love me!“ zahlreiche Originalexponate und Multimedia-Dokumente gezeigt. Sie werden über die Sehnsüchte von Generationen und über gesellschaftliche Veränderungen erzählen.
Doch über den Wandel erzählt die Hütte noch an vielen anderen Plätzen. Beispielsweise im ScienceCenter Ferrodrom. Hier können in einhundert Experimentier- und Mitmachstationen Kinder und Erwachsene die Gewinnung von Eisen und Stahl nachvollziehen. Spielerisch werden die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft inszeniert, die für die Gewinnung von Eisen erforderlich sind. Präsentiert werden technologische Pionierleistungen der Ingenieure wie der einzigartige Erzschrägaufzug oder die Sinteranlage, die feinste Erzteilchen und sogar Erzstaub zusammen gebacken und wieder in den Hochofen einfüllte.
Auch der Arbeitsalltag der Völklinger Hütte wird nicht ausgespart. Historische Fotos von Frauen, die auf dem Kopf Erz schleppten, das Lastkähne auf der Saar anlandeten. Sie wurden „Erzengel“ genannt. Oder Fotos von mit Ruß verschmierten Kindergesichtern, die vor mehr als einhundert Jahren in der Kokerei schufteten, um den Steinkohlenkoks für die Hochöfen zu erzeugen. (L.F.: Fotomotiv Hochofen)
Den größten nur denkbaren Wandel präsentiert heute das ehemalige Eisenwerk in dem Areal zwischen der Kokerei und der Saar. Hier ist aus der „Hölle“ von Hitze und Staub, Benzol- und Teergeruch jetzt „Das Paradies“ geworden.
Nach dem letzten Abstich der Hütte im Jahr 1986 konnte sich auf dem Gelände der ebenfalls stillgelegten Kokerei, zusätzlich geschützt durch eine hohe Brandmauer, ein einzigartiger Biotop mit Lebensraum für seltene Tiere und Pflanzen entwickeln. Es wuchsen wilde Astern, die kanadische Goldrute und Zittern-Pappeln. In Wasserbecken, in denen der Koks abgekühlt und Teer aus dem Koksgas destilliert wurde, siedelten sich Fische an. Fledermäuse und Vögel wie der Hausrotschwanz quartierten sich ein. Ein guter Anlass, nach 25 Jahren inmitten des Industriedenkmals einen riesengroßen Landschaftsgarten anzulegen mit neu angelegten Wegen, Ruhebänken und Blickachsen auf die Hütte. Schade, dass die jungen Burschen mit ihren rußigen Kindergesichtern auf dem historischen Foto der Kokerei dieses Paradies nicht durchwandern konnten.
Ein kleines bisschen riecht es im Garten noch nach Teer - auch nach 27 Jahren und zwei Schlackeberge sollen bei Regen immer noch etwas dampfen. Als nach Stillegung der Hütte in der Nacht keine Erzwaggons mehr quietschen und polterten, waren anfangs viele Bewohner von Völklingen in ihrem Schlaf gestört. Mittlerweile haben sie längst gelernt, mit ihrer des Nachts still gewordenen Hütte zu leben.
Weltkulturerbes Voelklinger Hütte
Text: Ronald Keusch, Juli 2013
Fotos: Jo Scherer (2), Autor
Anmerkung: Klicken Sie zur Vergrößerung aller Fotos im Beitrag auf selbige.
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