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Im Mai 1874 gastierte das Meininger Hoftheater zum ersten Mal in Berlin. „Julius Cäsar“ von Shakespeare stand auf dem Programm. Das kritische Berliner Publikum war einiges gewöhnt. In positiver wie negativer Hinsicht. Aber eine so perfekte, unter die Haut gehende Ermordung Cäsars auf offener Bühne hatte man in der frisch gebackenen Reichshauptstadt (1871) noch nicht erlebt. Ein wahrer Beifallssturm dankte den Schauspielern aus der kleinen Residenzstadt des Herzogtums Sachsen-Meiningen.
Rund 400 Autokilometer von Berlin entfernt, da, wo im malerischen Werratal der Fluss schon eine ordentliche Breite hat, liegt, von nahen, waldreichen Bergen umgeben, die kleine Stadt Meiningen (20 844 Einwohner).
Teil der gelungenen Stadtinszenierung sind die Brunnen der Stadt Meiningen.
Sicher gibt es (architektonisch gesehen) schönere Städtchen in Thüringen, viele Sehenswürdigkeiten sind bei dem großen Stadtbrand von 1874 vernichtet worden. Trotzdem stößt man beim Spaziergang auf prächtige Fachwerkhäuser in fränkischem Stil, auf repräsentative Residenzbauten aus dem 19. Jh., auf großzügige Parks und breite Alleen.
Fragt man die Meininger, was man sich als Fremder unbedingt ansehen sollte, so wird zuallererst das Theater genannt.
Heute glänzt das Staatstheater durch Vielseitigkeit in den Sparten Oper, Operette, Konzert, Schauspiel, Ballett und Puppentheater. Auch Pippi Langstrumpf gehört zum Repertoire.
Dann folgt Barockschloss Elisabethenburg, in dem Prinzessin Adelheid (1792-1849) aufwuchs, die spätere Königin von England, die dem Vernehmen nach den Weihnachtsbaum nach England brachte, dann der Goethe-Park, ein Garten in englischem Stil mit verschlungenen Pfaden, künstlichen Ruinen und Seen. Er entstand 1782 nach einer Idee von Herzog Georg I.
Eingebettet in diesen Musengarten erinnern zahlreiche Denkmale an berühmte Künstler, die in Meiningen ihre Spur hinterlassen haben: der Dichter Jean Paul, der Märchensammler und Schriftsteller Ludwig Bechstein, die Komponisten Max Reger und Johannes Brahms. Zwei seiner Werke, darunter die 4. Sinfonie, wurden von der Meininger Hofkapelle uraufgeführt. Das Verhältnis des Komponisten zu der kleinen Stadt war so eng, dass die Meininger „ihrem Brahms“ ein Denkmal setzten. Und zwar das erste in Deutschland, das den Meister ehrte.
Das Schillerhaus in Bauersbach. Hier lebte Schiller als Dr. Ritter. Bis heute beschäftigt sich die Wissenschaft mit der Frage, ob er seine Schulden im Wirtshaus bezahlt hat oder nicht.
Natürlich war auch Goethe in Meiningen, und Schiller lebte auf seiner Flucht vor Herzog Karl Eugen von Württemberg von Dezember 1782 bis Sommer 1783 inkognito als Dr. Ritter im nahen Bauersbach. Abends zechte er tüchtig im Gasthaus und tagsüber schrieb er „Kabale und Liebe“.
Richard Wagner, der mehrfach am Pult der Hofkapelle stand, war die Residenzstadt sogar einen Reim wert. Frei von der Leber weg dichtete er: „Es gibt viele Meinungen, aber nur ein Meiningen, es gibt viele, die über mich herzogen, aber nur einen Herzog.“ Mit dem meinte er Georg II. (1826-1914), der als „Theaterherzog“ in die Geschichte einging.
Als Georg 1866 den Thron des kleinen Herzogtums bestieg, sorgte er in mehrerer Hinsicht für Nachruhm. Einerseits widmete er sich mit Bravour den Regierungsgeschäften, das Schul- und Gesundheitswesen gehörte zu den fortschrittlichsten seiner Zeit. Andererseits engagierte er sofort ein festes Ensemble für sein Hoftheater, da er mit dem herkömmlichen Theaterplunder nicht viel am „Hut“ hatte. Hebung der Sitten, Bildung des Geistes, Aufklärung und Erziehung des Volkes, das waren die Leitmotive seines Theaters. Um sie durchzusetzen führte er Regie, entwarf Kostüme und Bühnenbilder. Es ging ihm darum, die philosophischen, dekorativen, dramaturgischen und schauspielerischen Elemente zu einem Gesamtkunstwerk zusammen zu fügen.
Das prunkvolle Foyer des Meininger Theaters: Das heutige Haus wurde 1909 anstelle des 1908 abgebrannten Hoftheaters erbaut. Es gilt als letzter klassizistischer Theaterbau in Deutschland.
Das Ensemble spielte vor allem Stücke von Schiller, Shakespeare und Kleist. Der regierende Regisseur ordnete all seine künstlerischen Ideen den Absichten des Dichters unter, und duldete keine anderen Stars. Georg II. ist der Erfinder des modernen Regietheaters. Der Erfolg blieb nicht aus. Zwischen 1874 und 1890 bereisten „die Meininger“, wie sie bald nur noch hießen, ganz Europa. In 38 Städten führten sie ihre aufsehenerregenden Inszenierungen 2591-mal auf. Unter dem Eindruck der „Meininger Spielweise“ entwickelte Stanislawski seine Regie-Methode, wurde die „Royal Shakespeare Company“ gegründet.
Auch heute ist das Theater eine höchst lebendige Größe in Meiningen. Allein in der letzten Saison wurden 176000 Zuschauer gezählt. Mit über 300 Angestellten ist das „Südthüringische Staatstheater“ einer der größten Arbeitgeber der Kleinstadt. Und eigentlich wird nicht anders Theater gespielt als zu Georgs Zeiten. Als Garantie für Beifall gilt noch immer eine texttreue, ehrliche, moderne Interpretation! Dargeboten von sehr guten Schauspielern. Das Phänomen „der Meininger“ hat der Komponist Gustav Mahler einmal auf folgenden Nenner gebracht.
Woanders leistet sich eine Stadt ein Theater, hier ist es umgekehrt!
Weblink zur Theaterstadt Meiningen
Text und Fotos: Bernd Siegmund
Anmerkung: Klicken Sie zur Vergrößerung aller Fotos im Beitrag auf selbige.
Reise-Infos:
Tourist-Information Meiningen
98617 Meiningen
Markt 14. Tel.: 03693/44650
Fax: 03693 446544
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